Impulse

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Unsere DNA

Woraus die altkatholische Idee gemacht ist und was wir zum Erhalt dieser Werte beitragen können.

In der menschlichen Biologie wird zwischen Phänotyp und Genotyp unterschieden: Der Phänotyp bezeichnet die äußere Erscheinung eines Menschen (also z.B. die Größe), der Genotyp die genetische Ausstattung.

Das eine, die äußere Erscheinung, ändert sich auch durch Einflüsse von außen: Wenn wir zum  Beispiel zu lange in der Sonne gewesen sind, dann sehen andere unseren Sonnenbrand. Der Genotyp ist mehr oder weniger stabil und ist wie der Baustein des Lebens und der Entwicklung: Grundlage dessen, was dann nach außen sichtbar wird.

Anfang Dezember findet wieder eine Synode der Altkatholischen Kirche Österreichs statt. Die Synode ist das höchste Entscheidungsgremium unserer Kirche in organisatorischen Fragen: Rund 60 Delegierte aus allen zwölf altkatholischen Kirchengemeinden in Österreich stimmen in demokratischer Art und Weise über Anträge, die Zukunft unserer Kirche betreffend, ab. Zweifellos ist diese Art des Miteinanders das Ur-Altkatholische.

Das schreiben wir dann auch öffentlich: Wir leben das bischöflich-synodale Prinzip und haben dies oder jenes beschlossen. Das ist unser „Phänotyp“, was auch andere sehen. Doch wirklich altkatholisch zu sein zeigt sich in der darunter liegenden Ebene

Ich erinnere mich, dass es vor vielen Jahren Gemeinden gab, die über zwei Jahrzehnte stets die gleichen Delegierten zu den Synoden entsandt haben. Da frage ich mich: Wie kam das? Wollten andere in diesen Gemeinden nicht teilhaben? Oder gab es „ungeschriebene Stellenbesetzungen“?

Und heute frage ich mich: Was bedeutet es, wenn ein Antrag der Synode darauf abzielt, Pfarrer:innen-Wahlen derzeit auszusetzen? Ist das nicht die erste und wichtigste Errungenschaft des Altkatholizismus der Anfangsstunden: Dass Gemeinden ihre Seelsorger:innen selbst wählen? Hier ist es meiner Meinung nach wichtig, kritische Fragen zu stellen. Hier geht es um unsere DNA.

Die typisch altkatholische Art, für die unsere Gründungsväter und -mütter gekämpft haben, zeigt sich weniger in den Ergebnissen von demokratischen Abstimmungen als vielmehr in der Art und Weise, wie Partizipation und die Möglichkeit zur Teilhabe gelebt wird. Anders gesagt: Unsere altkatholische DNA ist die möglichst breite Möglichkeit zur Teilnahme und Teilhabe vieler Menschen an allen Prozessen in unserer Kirche.

Das bedeutet eine doppelte Verantwortung: Für demokratisch gewählte Vertreter:innen (wie zum Beispiel Gemeindevorstände, aber auch Pfarrer:in, Bischof/Bischöfin)besteht die Verantwortung in der Herausforderung, Prozesse offen und transparent und mit viel Kommunikation zwischen möglichst allen Interessierten zu gestalten, niemanden auszuschließen und auch mit kontroversen Äußerungen konstruktiv umgehen zu können.

Das kann sehr herausfordernd sein. Möglicherweise muss man sogar die eigenen persönlichen Interessen zurückstellen und sich in einen echten Dienst an unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlichen Werten stellen. Hier besteht immer die Gefahr, aus Bequemlichkeit, Machtinteressen oder einfach einem wenig reflektierten Mindset kürzere, „autoritärere“ Wege zu gehen: Denn ein wirklich breiter, partizipativer Prozess kann sehr langsam vor sich gehen, ist immer ein Abenteuer und man weiß nie so genau, was dabei rauskommt.

Aber genau das ist es, was bei der Idee des Altkatholizismus so wichtig ist: Teilhabe und geteilte Verantwortung aller. Hierin liegt Segen. Und das ist es, was unsere Mitglieder zu Recht erwarten dürfen: Dass wir um gemeinsame Lösungen bemüht sind.

Auf der anderen Seite haben alle in unseren Gemeinschaften die Verantwortung, genau zu beobachten, wohin die Reise geht, sich gegebenfalls auch zu beteiligen und diese Verantwortung zum Beispiel durch Wortmeldungen oder in Form eines Ehrenamtes auch wahrzunehmen. Das braucht Zeit und ein gewisses Maß an Lernfähigkeit, auf andere vororteilslos zuzugehen, einander zu begegnen und zuzuhören, auch wenn es „kompliziert“ wird. Dieses Miteinander von Interessierten einerseits und den gewählten Vertreter:innen, die offene Rahmenbedingungen für Teilhabe schaffen sollten, andererseits ist wie zwei Seiten einer Medaille:

Ist eine Seite nicht gut ausgeprägt, dann ist die andere Seite wertlos; dann mag es nach außen gut und richtig erscheinen, aber die DNA des altkatholischen Mindset ist verloren gegangen.

Ich bin seit fast zwanzig Jahren altkatholischer Pfarrer, stehe also in der Verantwortung für Gemeinschaft, Seelsorge sowie in der Verantwortung, einen Ort des Heiles, des guten Lebens, des Trostes und der Freude mitzugestalten. Für mich ist der theologische Abstand zu meiner persönlichen Herkunftskirche - der römisch-katholischen Kirche - über die Jahre sehr viel größer geworden. „Altkatholisch“ bedeutet eben nicht, „ein bisschen Demokratie“ statt Monokratie, und die Gleichberechtigung beschränkt sich nicht auf die - gesellschaftlich ohnehin längst überholte - Frau-Mann-Diskussion.

Unsere Aufgabe besteht darin, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit tatsächlich partizipative Prozesse bis in die letzte Ecke unserer Gemeinschaften und der gesamten Kirche in Österreich möglich sind. Gleichberechtigung bedeutet, allen Menschen unserer Kirchengemeinde die gleichen Chancen einzuräumen, nicht nur am Leben der Gemeinschaft teilzunehmen sondern, es auch mitzugestalten.

Für mich ist es menschlich sehr gut nachvollziehbar, wenn Menschen unserer Kirche beitreten und sagen: „Im Herzen war ich immer schon altkatholisch.“ Damit meinen sie, dass sie die Werte, die wir auch nach außen publizieren, innerlich immer schon vertreten haben. Das ist gut so. Doch der Prozess, diese Werte dann auch praktisch zu leben, ist intensiv und es dauert länger, ein wirklich altkatholische Mindset zu entwickeln, das bis in die DNA reicht.

Es ist für uns alle, auch nach Jahren, immer die Frage, wie wir die Grundwerte des Altkatholischen in der aktuellen Situation umsetzen können. Derzeit sehen ich und andere in unserer Kirche auf Österreich-Ebene Tendenzen, die dazu anregen, wieder tiefer in die altkatholische Wertstruktur zu blicken und gegebenfalls auch Widerspruch einzulegen. Dabei geht es nicht darum, anderen den guten Willen abzusprechen oder genau zu wissen, was „richtig“ ist. Es geht darum, gemeinsam auf eine partizipative Reise zu gehen und damit der DNA des Altkatholischen in den Herausforderungen unserer Zeit Ausdruck zu verleihen.

Pfarrer Hannes Dämon