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Neue Chance?

Was wir aus der Corona-Krise lernen könnten.

Die vergangenen Monate werden uns lange in Erinnerung bleiben. Sicher als Krise. Vielleicht auch als Erfahrung. Eltern, die nicht mehr ein- und auswissen. Angestellte, die ohne Job dastehen. Kinder, denen soziale Bindung und die Schule als Lebensort gefehlt haben. Leere Geschäfte, leere Kirchen, leere Veranstaltungssäle.

Aber auch: Entschleunigung als Wohltat. Ruhe auf den Straßen. Zurückgeworfen-Sein auf die eigenen Gedanken, Gefühle. Die Hoffnung, dass sich Solidarität nicht als Strohfeuer enttarnt. Ausbrechen aus dem Hamsterrad. Was zählt im Leben wirklich? Dass Corona keine Strafe Gottes ist, brauche ich im altkatholischen Umfeld hoffentlich nicht extra zu betonen.

Die Natur ist, ebenso wie wir Menschen, frei in der Entfaltung. Nicht jede Freiheit, bei Menschen wie in der Natur, entspricht unseren Vorstellungen. Manche Freiheiten bedrohen Leib und Leben. Vielleicht vergessen wir gelegentlich, dass unsere derzeitige Krise winzig ist im Vergleich zu Krisen, die Menschen auf brutale Weise tagtäglich in ärmeren Ländern mit Krieg, Gewalt und Unterdrückung provozieren.

Wir sind es nicht gewohnt, auf der Verliererseite zu stehen. Wie wird es denen wohl gehen, die schon bisher „am unteren Ende der globalen Nahrungskette“ gestanden sind? Wo werden Medikamente und Impfstoffe zuerst ankommen?

Wir könnten lernen, solidarischer zu leben. Wir könnten lernen, das Leben jenseits der materiellen Dinge mehr zu schätzen. Wir könnten uns mehr auf die uns geschenkte Lebenszeit besinnen. Wir könnten unsere Beziehungen bewusster leben. Das alles könnten wir.

Und das alles braucht Zeit der Veränderung. Besinnung, Gebet, Hören auf das Wort der Liebe. Gottes- und Nächstenliebe - das ist mehr als eine Tradition. Das ist notwendig (wendet also die Not). Es geht nicht um einen verstaubten, blinden Glauben. Es geht nicht um das Runterbeten von Dogmen. Es geht um uns und unsere Kinder. Heute und morgen.

Wie stark gelebter Glaube sein kann, haben wir in den vergangenen Wochen und Monaten in unserer Kirchengemeinde gesehen. Die Hilfsbereitschaft überstieg die Bedürftigkeit. Die Treffen in unserem Kirchen-Videoraum wurden zu einer persönlichen Begegnung und Stärkung sowie zur Inspiration im gesellschaftlichen Engagment; das Wiedersehen in der Kirche zum freudvollen Fest; das Wesentliche strahlte auf in den Gesichtern der Menschen.

Wir haben gelernt, dass vieles nicht selbstverständlich ist. Das kann zu einer persönlichen aber auch in unserer Pfarre und in unserer Gesellschaft zu einer gemeinschaftlichen Prioritätenverschiebung führen. Das ist in der Tat gar nicht so schlecht. Leben wir also bewusster, was wesentlich unser Leben trägt, können wir aus dieser Krise, die bei Weitem noch nicht überstanden ist, tatsächlich viel lernen: Dass wir Menschen auf soziale Kontakte angewiesen sind. Dass sich Liebe nicht einschränken lässt. Dass unsere Welt eine Welt ist. Dass Gott in uns wohnt.

Ihr Pfarrer Hannes Dämon